Kunstwerk des Monats

Der Annenaltar

 Die Annenbruderschaft  

Die Annenverehrung wurde in Kempen von der Annenbruderschaft gefördert. Zu den Pflichten der Bruderschaft gehörte die Teilnahme an der Messe an jedem Dienstag der Woche (am „Annentag“) sowie Solidarität und Hilfe in der Gemeinschaft und deren Unterstützung für die Armen.   Die Bruderschaft feierte ihre Gottesdienste in der linken Turmkapelle, die ihr zugewiesen war. Sie war einflussreich und bestand aus vielen gut situierten Bürgern. So konnte sie sich auch die Anfertigung eines kostbaren Altars leisten. Für die von ihr genutzte linken Turmkapelle wollte sie einen würdigen Altar haben.      

Der Antwerpener Künstler  

Die Annenbruderschaft wandte sich mit ihrem Anliegen an den Antwerpener Meister Adriaen van Overbeck und vereinbarte mit ihm vertraglich die entsprechenden Bedingungen und die inhaltliche Konzeption. Das Original des Vertrags vom 11. August 1513 findet sich heute noch im Kempener Stadtarchiv. Der Vertragstext ist in mittelhochdeutscher Sprache verfasst und weist einige inhaltliche Vorgaben der Auftraggeber für die Bildfolgen auf.   Ausgeliefert wurde der Altar jedoch nicht wie geplant am 26. Juli 1514, dem Namensfest der heiligen Anna, sondern erst am 15. August, dem Festtag „Mariä Himmelfahrt“. Aufgestellt war er in der für die Annenbruderschaft genutzten Turmkapelle. Er wurde aber nach der großen Kirchenrenovierung um 1860 in den Chorraum gesetzt und  wurde somit zum Hauptaltar der Kirche.      

Inhaltliche Konzeption des Altares  

Der Annenaltar in der Propsteikirche entspricht dem bekannten Konzept der Antwerpener Flügelaltäre: sie bestehen aus einem erhöhten, geschnitzten Mittelteil mit standardisierten Bildern und einem oder mehreren meist gemalten Flügelpaaren, die sich der Thematik von Heiligenviten annehmen. Im Annenaltar sind es Maria und deren Mutter Anna. Es soll gezeigt werden, dass Maria und ihr Kind Jesus Teil einer menschlichen Familie sind, einer „heiligen Sippe“.   Vor allem wollen die Schnitzbilder aufzeigen, dass Jesus Christus in eine familiäre, menschliche Umgebung, in eine „heiligen Sippe“ hineingeboren wurde. Seine „irdische Familie“ wird als der moralische und makellose Ort der Menschwerdung Gottes gedeutet. Entnommen sind die Bildthemen des Annenaltars der „legenda aurea“, eine Sammlung von ursprünglich 182 Traktaten zu Kirchenfesten und Heiligenlegenden des Dominikaners Jacobus de Voragine (um 1230 – 1298) sowie der „Geschichte der heiligen Mutter St. Anna“ von Wouter Bor (um 1500).   Diese „Legenden“ orientieren sich am Neuen Testament, besonders an den Kindheitsgeschichten, mehr aber noch an apokryphen Schriften (vor allem am „Jakobusevangelium“) sowie Apostel- und Märtyrerakten. Auf die Geschichte der Mutter Anna von Wouter Bor dürfte die seltene Darstellung auf den rechten Altarflügel vom Tod Annas beim Besuch ihres Enkels Jesus zurückzuführen sein.      

Die Altarbasis      

Die Altarplatte (Mensa) und die Basis des Altars sind erst bei der Umstellung des Annenaltars in den Chorraum erstellt worden. Sie sind aus Sandstein (98 cm x 258,5 cm x 128 cm). Am Antependium (Sichtseite der Basis) sind drei Gemälde auf Kupferplatten in die steinerne Rahmung eingesetzt (Bildgröße: 54 cm x 61 cm links, 55 cm x 59,5 cm mittig, 55 x 60 cm rechts). Es handelt sich (von links nach rechts) um das Mahl von Abraham und Melchisedek, das Paschamahl vor der Befreiung aus Ägypten und um das von Gott von Abraham geforderte Opfer seines Sohnes Isaaks.   Sie weisen inhaltlich auf das hin, was an und auf diesem Altar in der Messfeier vollzogen wird. Es geht sowohl um eine Tradition aus der Frühzeit, als auch um die Erinnerung an das Passahmahl vor der Befreiung aus Ägypten, an das Jesus beim letzten Abendmahl anknüpft. Vor allem aber um die Hingabe Jesu Christi, der sich selbst hingebend schenkte und von hier aus erneut schenken will.  

Wolfgang Acht      

Das gotische Sakramentshaus

Bei diesem Kunstwerk handelt es sich um ein Werk des Kölner Dombaumeisters Conrad von Köln und seiner Domwerkstatt. Es wurde 1461 – 1462 aus Sandstein für 300 Goldmark gefertigt. Das Werk ist 7,20 m hoch und gliedert sich in drei Ebenen, einem Fußteil, darüber die Tabernakelkammer mit Giebelkrönung und ein zweistöckiges Strebwerk an der Spitze. Die Figuren beziehen sich auf das sakramentale Brot, das hier aufbewahrt wird.

So findet sich:

  • im Rankenwerk der gegeißelte Jesus, umgeben von Engeln mit den „Leidenswerkzeugen“;
  • im darunter liegenden Ziergiebel die Figur des heiligen Paulus (Verkünder der Frohbotschaft weit über das Land Israel hinaus), des Petrus (der „Erste“ der Apostel) und Marias mit Kind (die „Gottesmutter“).

 

  • An der Tabernakelkammer sind als „Tabernakelwächter“ die so genannten „Kölner Marschälle“ angebracht: Papst Kornelius, Bischof Hubertus, Antonius der Wüstenvater und Quirinus von Neuss, die zugleich Pfarrpatrone der Nachbargemeinden sind. Die Figuren zeigen zugleich die Verbindung zur Kölner Kirchenprovinz, zu der Kempen früher gehörte.
  • Im unteren Sockelbereich stehen die Patrone der Tochterkirchen in jeweiliger Himmelsrichtung der Kirchen: St. Godehard (Patron von Vorst), St. Vitus (Patron von Oedt), St. Nikolaus (Patron der Kapelle in Schmalbroich) und St. Cyriakus (Patron von Hüls). Sie zeigen die enge Verbindung der ursprünglich vereinten Gemeinden im Umfeld von Kempen, die heute strukturell wiedergegeben ist.

Das Sakramentshaus ist also nicht nur ein künstlerisch hervorragendes Werk, sondern zugleich stellt es eine bildhafte Verkündigung dar für das, was im Tabernakel aufbewahrt wird, das „Brot des Lebens“, der hingebende Christus selbst.  

Wolfgang Acht      

Das Magnifikatfenster

Passend zum Marienmonat Mai, möchten wir dieses Fenster vorstellen. Es wurde von Professor Emil Wachter gestaltet und konnte 1986 im Turmraum der Kirche eingefügt werden, weil bei der großen Kirchenrenovierung der 80er Jahre dort ein kleines Fensterloch wiederentdeckt wurde.  

Das Fenster ist der Tradition der „Bibelfenster“ verpflichtet, die sich besonders in den großen gotischen Kathedralen als Zentralfenster im Chorraum eingefügt sind (z. B. im Kölner Dom). Sie sind vielfach in einer Folge aufeinander abgestimmter Bildpaare gestaltet und möchten dem Betrachter die Verknüpfung von Erstem (AT) und Zweitem Testament (NT) vor Augen führen.

Hier weisen die Szenen in der linken Fensterbahn auf das Buch Samuel im Ersten Testament hin. Sie sollen als sogenannte „typologische“ Bilder das Geschehen aus der Kindheitsgeschichte und dem Marienleben (Zweites Testament) auf ihre Weise deuten.      

Folgen wir der Thematik der Bilder gemäß der Deutung von unten nach oben:       

Links erbittet Elkanas Frau Gottes Beistand, um Kinder empfangen zu dürfen. Sie wurden  prophetische Menschen (s. Buch Samuel). Die Rose rechts weist ihrerseits auf Maria hin, die durch die Erwählung Gottes zur „geheimnisvollen Rose“ wird (= eine Anrufung in der lauretanischen Litanei) weil sie den Messias gebären darf.

Links weist Hanna den Tempelpriester Eli darauf hin, dass sie Gott um Nachwuchs gebeten hat und dadurch zum Kindersegen kam (1 Sam 1, 14 – 17). Maria wird rechts durch den Engel Gabriel verkündet, dass Gott sie erwählt hat, den Heilsbringer Jesus zur Welt bringen zu dürfen (Lukas 1, 26 – 38).

Links steht Hanna, die mit erhobenen Händen Gott für seine Güte preist (1 Sam 2, 1 – 11). Rechts sieht man die Begegnung Mariens mit ihrer Base Elisabeth, bei der Maria ebenso das Handeln Gottes an ihr und allen Menschen im Lied des Magnifikat preist (Lukas 1, 46 – 56).

Schließlich zeigt oben das linke Bild, wie Hanna ihren Sohn Samuel dem Tempel weiht (1 Sam 24 – 28), der später seinem Volk den Weg Gottes zeigt. Rechts weist das Weihnachtsbild auf die Menschwerdung Gottes in Jesus hin, der für uns alle zum Heil wurde (Lukas 2, 1 – 7).      

Als Grundierung wurde die Farbe blau gewählt. Sie steht symbolisch für Unberührtheit und Reinheit, die besonders dem Himmlischen eigen ist. Von daher hat sich Blau zur Muttergottesfarbe herausgebildet. In der Kunst wird Maria deshalb häufig mit hell- und mittelblauem Mantel als „Königin des Himmels“ dargestellt.  

Das Fenster ist eine bildhafte, leuchtende Verkündigung der Heilsbotschaft für die Betrachter. Im Turm, also am Eingangsportal hat es einen durchaus symbolisch angemessenen Platz, bereitet es doch den Kirchenbesucher auf das in der Kirche gefeierte Geschehen hin.      

Wolfgang Acht      

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