Aktuelles

RP: Kirche im Blick durch die Fotolinse

Georg Kaiser, Vorsitzender des Kirchbauvereins, weist auf die außergewöhnliche Fotoausstellung in der Propsteikirche St. Marien hin. Fotografen und Fotografinnen suchten das besondere Motiv.

In St. Marien rückte ein Workshop von Hobbyfotografen unvermutete Details der Kirchen-Kunstwerke ins Bild. Daraus entstand eine Ausstellung des Kirchenbauvereins, die bis in den Januar im Chorumgang faszinierende Einblicke bietet.

VON HANS KAISER

KEMPEN | Kempens Pfarrkirche als Fotomodell? Doch, das ist möglich. Es kommt auf den Blickwinkel an, aus dem der Fotograf sich seinen Motiven nähert. Und auf die Technik, mit der er seine Bilder gestaltet. Wenn man die Kunstwerke in der gotischen Basilika und ihre Architektur einmal mit anderen Augen betrachtet, wird St. Marien zum Modell – dafür, wie man verborgene Schätze aufspürt. Dann entstehen Ansichten, die überraschende Einsichten gewähren.

St. Marien mal anders – das war das Ziel eines Foto-Workshops, den im September elf Hobbyfotografen unter der Leitung ihres Kempener Künstler-Kollegen Josef Lamozik durchführten: zwei Tage lang, mit digitaler Foto-Technik gestaltet und beschienen vom Licht der Spätsommer-Sonne, die durch die hohen Fenster hereinfiel.

Aus der Thomasstadt waren Rainer Lange, Mechthild und Hubert Kranig dabei, Manfred Joosten, Jeyaratnam Caniceus, Konrad Nolten-Falk und Helmut Jansen. Hunderte Male klickten die Verschlüsse. Ergebnis ist eine Ausstellung, 27 Bilder umfassend, die bis Januar im Chor-Umgang zu sehen sein wird. Kundig eröffnet wurde sie durch Kempens Kulturamtsleiterin Elisabeth Friese. „Ein gutes Bild ist ein Bild, das länger als eine Sekunde betrachtet wird“, zitierte Friese den französischen Filmemacher und Schwarz-Weiß-Fotografen Henri Cartier-Bresson.

Ganz klar: Die Bilder im Chor-Umgang werden länger betrachtet als eine Sekunde: Sie haben es inhaltlich in sich. Und sind aufgenommen mit neuester Computer-Technologie. Ein Beispiel sind die Kinder, die im Annenaltar als winzige Figürchen das Bügelspiel treiben – eine Aufnahme, aus unzähligen Einzelstückchen zusammengesetzt. Mit „Panorama-Technik“ hat Christian Uebing das Rot der Kinder-Wangen sichtbar gemacht, das der Betrachter mit bloßem Auge gar nicht erkennt. Auf der Bügelbahn ist jedes Staubkörnchen zu erkennen.

Werfen wir einen Rundblick auf einige Stückchen erlesener Foto-Kunst. Einen Schutzengel für die Thomasstadt zeigt das Foto von Konrad Nolten-Falk. Der Himmelsbote, 1493 von Johannes Gruter aus Wesel für das Chorgestühl kunstvoll geschnitzt, lächelt: Kempen ist gut aufgehoben bei ihm. Zum Beweis hält er das Stadtwappen in der Hand. Der Blick fällt auf sein freundliches Gesicht, seine fein gelegten Locken, seine langen schmalen Hände und sein in tiefe Falten gelegtes Gewand. All das unterstreicht die bildhauerische Leistung des Schnitzers.

Gleichsam ins Schweben gebracht wird der Erzengel Michael, der Drachenbezwinger. Seine Statue wurde um 1510 in Antwerpen gefertigt. Elegant und auffallend groß für eine Antwerpener Werkstatt steht der Heilige auf der Spitze des Marienretabels auf dem südlichen Seitenaltar. Helmut Jansen hat ihn als strahlende Glorienfigur vor schwarzem Hintergrund kunstvoll in Szene gesetzt.

Und da ist der heilige Christophorus, als übermannshohe Plastik um 1400 hergestellt. Auf einen Baumstamm gestützt, trägt er das Jesuskind, das die rechte Hand segnend hebt und mit der linken die Erdkugel mit Kreuz direkt über dem Kopf des Heiligen aufrichtet. Christophorus steht auf einer Steinkonsole in Gestalt eines Engels. Der trägt die fünf Wundmale, die Christus bei der Kreuzigung empfing – ein Hinweis auf die Erlösung durch den Sohn Gottes, einfühlsam abgebildet von Rainer Lange. Elisabeth Friese findet: „Eine meiner Lieblingsskulpturen in dieser Kirche.“

Im ideellen Mittelpunkt des Gotteshauses: Der 1508 geschaffene Marienleuchter, ein Höhepunkt niederrheinischer Kunst. Vor dem Hochaltar schwebt vom Gewölbe herab die Madonna im Strahlenkranz, die Patronin der nach ihr benannten Kirche. In der Muttergottes fand das einfache Volk etwa ab 1200 seine religiöse Idealgestalt. Die Menschen näherten sich Christus nun durch die Vermittlung der Jungfrau, die niemanden abwies und deren Fürbitte, wie man glaubte, ihr Sohn sich nicht entziehen konnte.

Bei der Darstellung dieses Kunstwerks hat Helmut Jansen radikal die Perspektive gewechselt. Aus der Bodensicht zeigt er uns den Luzifer (der hier in seiner wörtlichen Übersetzung als „Lichtträger“ dient). Wie die mittelalterliche Weltordnung es will, tritt die siegreiche Muttergottes dem Unhold in den Nacken. Vom Leuchter sind auf dem Bild nur noch die weit ausladenden Kerzenhalter zu sehen, umfangen vom gotischen Deckengewölbe. Auf einem anderen Foto lenkt Hubert Kranig den Blick unmittelbar auf das liebevoll lächelnde Gesicht Mariens. Mit ganz eigener Lichtführung fängt er die Schönheit der gotischen Figur und des Jesuskindes ein.

Bilderrätsel gibt es auch. Wie hat Jeyaratnam Caniceus es geschafft, die Säulen des Kircheninnern lila einzufärben? Wie kann der Marienleuchter so nah an der Orgel sein? Verfremdungen, die Caniceus’ Bild so spannend machen. Eine andere Denkaufgabe stellt Hubert Kranig. Wo hat er nur sein Foto geschossen? Jetzt erkennen wir es: Die Aufnahme wurde im Glockenturm gemacht. Kranig hat die Vierung des Gewölbes, 1457 errichtet, in changierende Farben getaucht.

Wenn man die Kirche durch diese Turmhalle verlässt, blickt man rechts zum Missionskreuz auf. Das erinnert an fünf Volksmissionen, von 1897 bis 1938, bei denen Geistliche mit ihren Predigten die Menschen in ihrem Glauben stärkten. Der Längsbalken des Kreuzes zeigt himmelwärts. Als Wegweiser nach oben. Wie die ganze Propsteikirche.

Kalender für 2022 gestaltet

Seit 2019 wird die Kempener Propsteikirche aufwändig saniert. Zur Unterstützung dieses Projekts hat der Kirchenbauverein unter Leitung seines Vorsitzenden Georg Kaiser bereits zwei Fotobücher herausgebracht und aktuell einen Kalender für 2022. Auch kann man eine Patenschaft für ein Stückchen Fassade übernehmen – ab 25 Euro für den Quadratmeter. Die in dieser Ausstellung gezeigten Bilder dienen mit ihrem Verkauf (30, 60 und 90 Euro) ebenfalls dem guten Zweck.

RP: Schätze der Propsteikircher im Fokus

Auf dem Annenaltar ist die „heilige Sippe“ zu sehen. In der Mitte sitzen Maria mit dem Kind und ihre Mutter Anna, vorn spielen Kinder das Bügelspiel. Unten im Bild: der „Schneider von Kempen“.

Kostbarkeiten aus der Kempener Propsteikirche, die erst auf den zweiten Blick ins Auge fallen, hat der Kempener Fotograf Josef Lamozik für den Jahresweiser 2022 des Kirchbau-Vereins St. Mariae Geburt gestaltet.

VON HANS KAISER

KEMPEN | Hier steht die Zeit still. Im geheimnisvollen Halbdunkel der Kempener Propsteikirche fühlen wir uns um Jahrhunderte zurückversetzt. Indes: Außerhalb des Gotteshauses rast die Zeit, deshalb braucht sie Einteilung. Stillstand der Zeit und ihre Einteilung hat der Kempener Kirchbau-Verein jetzt auf einen Nenner gebracht: mit einem Kalender über Kunstschätze der Kempener Kirche. Er zeigt für das Jahr 2022 auf zwölf großformatigen Bildblättern ewig wertvolle Kostbarkeiten aus St. Marien.

Gestaltet hat ihn der Kempener Josef Lamozik, Maschinenbautechniker im Ruhestand, Hobby-Fotograf seit 1967. Seine bevorzugten Motive: Landschaften und Architektur – und hier vor allem Kirchen. „Mich reizten die Details aus Fenstern und Altären, die nicht auf den ersten Blick auffallen“, beschreibt Lamozik seine Kriterien. Ergebnis: ein Kalender, der zum Rundgang mit den Augen einlädt. Um eingehend zu betrachten, was in der Propsteikirche namhafte Meister vom Mittelalter an hinterlassen haben.

Den Auftakt macht die Hausherrin. Das Leben der Muttergottes, nach der die Kirche ihren Namen „Mariae Geburt“ trägt, und das ihrer Familie füllt im Kalender den Januar. Lamoziks Foto zeigt die Rückseite des Hochaltars, auch „Annenaltar“ genannt, weil ihn die Kempener Annen-Bruderschaft 1513 bei Adrian van Overbeck aus Antwerpen bestellte. Geweiht ist er der heiligen Anna, der legendenhaften Mutter der Maria. Bei der Darstellung ihrer Vita orientierte sich Overbeck an Druckgrafiken von Albrecht Dürer, die damals, im frühen 16. Jahrhundert, weit verbreitet waren. In Antwerpen leitete Meister Overbeck eine Werkstatt für Großaufträge, beschäftigte eine Vielzahl von Schreinern, Schnitzern und Vergoldern.

Die Bilder, die er vor mehr als 500 Jahren schuf, zählen zu den wertvollsten der Kirche. Sie zeigen die klassischen Szenen des Marienlebens: die Verkündigung von Jesu Geburt durch den Engel, die Heimsuchung beim Treffen von Maria mit ihrer Kusine Elisabeth, aus der die Grußformel „gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ hervorging, Christi Geburt, seine Beschneidung, die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland und die Darstellung des Christuskindes im Tempel. Ganz oben: die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten.

Einen Überblick über Marias Familie liefert ein anderes Kalenderblatt: das Bild zum Oktober, ebenfalls vom Annenaltar. Auf ihm hat sich die „heilige Sippe“ wie zum Gruppenfoto versammelt. In der Mitte sitzen Maria mit dem Kind sowie ihre Mutter Anna. Vorne sehen wir sechs Kinder – zwei davon beim Bügelspiel, wie man es am Niederrhein kennt.

Aber auch jüngere Kunstwerke hat die Propsteikirche zu bieten. Glasmalerei zum Beispiel. Wie die „Dornenkrönung“ auf einem Fenster in der südlichen Turmseitenkapelle, der sogenannten Kriegergedächtniskapelle. Der Kalender zeigt das Bildwerk für den Monat April. Entworfen hat es der gebürtige Kempener Heinrich Dieckmann, damals Hochschulprofessor in Trier. Ausgeführt wurde die Malerei von Wilhelm Derix aus Kevelaer. Eine in ihrer Schlichtheit eindringliche Komposition: Hinter dem dornengekrönten Jesus steht ein Soldat, über den beiden Personen zwei Engel mit einem Spruchband: „Der für uns ist mit Dornen gekrönet worden.“ Kräftige Farben – vorwiegend Rot und Blau – intensivieren die Botschaft.

Kommen wir zum September. Da hockt auf einem Mauervorsprung im Chorumgang, nahe beim Fenster von der „Schmerzhaften Mutter“ ein kleiner Mann. Es ist der „Schneider von Kempen“. In einer Tragekiepe auf dem Rücken wuchtet er, das Gesicht vor Anstrengung verzogen, eine Säule. Die angestrengte Schlepp-Gestalt steht für den Opfersinn, mit dem sich die Kempener Jahrhunderte hindurch für den Bau ihrer Pfarrkirche ins Zeug gelegt haben. Anderswo errichtete man ein stolzes Rathaus – das fromme Kempen baute ein Gotteshaus. Die Statue leitet sich ab von einer Sagenfigur: einem Schneidergesellen, über den Generationen berichtet haben. Ein armer Kerl, der wenig Geld, aber viele Münder zu stopfen hatte. So blieb ihm als sein Beitrag zum Kirchenbau nur eine tragende Rolle. Nachts, nach der Arbeit, wuchtete er Steine auf das himmelhoch ragende Gerüst und bekam dafür dieses Denkmal gesetzt.

Schließlich der Dezember, der Weihnachtsmonat. Er zeigt die Geburt Jesu. In einer Figurengruppe vom unteren Feld des Annenaltars. Wer genau hinschaut, merkt: Das Christuskind liegt nicht in einer Krippe, in einer Futterraufe. Es ist vielmehr auf einer Art Altar platziert: auf einem thronförmigen Hocker, der mit Stroh bedeckt ist. Der Engel freilich, der dahinter steht, hat nur noch den rechten Flügel: Der linke muss im Lauf der Jahrhunderte verloren gegangen sein. Und das heilige Paar? Maria hat in ehrfürchtiger Haltung die Arme verschränkt. Josef ist schon älter und stützt sich auf einen Stock. In der Hand hält er eine brennende Kerze. Ein Symbol für das Licht der Welt, das in Gestalt des Neugeborenen vor ihm liegt. Ein wenig höher im Hintergrund: Kinder. Sie tanzen vor Freude über die Geburt des Erlösers.

Erlös dient Sanierung der Kirchenfassade

Kaufen Der Kalender „Propsteikirche St. Mariae Geburt in Kempen 2022“, herausgegeben vom Kirchbau-Verein St. Mariae Geburt, ist bei Schreibwaren Beckers, Engerstraße 10, für 12,50 Euro zu haben, nach den Gottesdiensten auch in der Propsteikirche und im Pfarrbüro.

Spenden Der Erlös dient der dringend notwendigen und kostenaufwändigen Sanierung der Kirchenfassade. Darüber hinaus bittet der Kirchbau-Verein um Spenden. Mehr über den Verein unter www.gdg-kempen-toenisvorst.de.

Fotoausstellung im Chorumgang der Propsteikirche in Kempen

 

Der Kirchbauverein hatte am 10. und 11. September in und an der Propsteikirche einen Fotoworkshop durchgeführt. Zu dem Fotoworkshop hatten sich insgesamt 11 Fotografinnen und Fotografen aus Kempen und der der Umgebung bis hin nach Essen beworben und angemeldet. Von den mehr als 150 Bildern wurden 30 besonders herausragende Exemplare ausgewählt.
Diese wurden am 21.11. im Chorumgang im Rahmen einer Eröffnungs-Vernissage vorgestellt. Frau Dr. Friese, Leiterin des Kulturamtes der Stadt Kempen hat in die Ausstellung eingeführt. Zahlreiche Besucher waren anwesend.
Im Folgenden veröffentlichen wir die sehr beeindruckende Einführung durch Frau Dr. Friese.Die Ausstellung ist bis Weihnachten in der Kirche zu besichtigen. 

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Fotografin und liebe Fotografen, ich freue mich sehr, dass ich heute diese Ausstellung mit ausgewählten Fotografien aus und von der Kirche St. Mariae Geburt vorstellen darf.

Ich bin keine Fotoexpertin, das habe ich auch Georg Kaiser gesagt, den Vorsitzenden des Kirchbauvereins, als er mich gefragt hat, ob ich die Eröffnung übernehme. Aber ich bin in dieser Kirche zu Hause und ich war gespannt, was den Teilnehmern an diesem Fotoworkshop in diesem Gotteshaus so wichtig war, dass sie es fotografisch festhalten wollten. Und ich war auch gespannt, sogar sehr gespannt, ob es Motive aus dieser Kirche gibt, die ich nicht gleich lokalisieren kann – und ja, das ist passiert. Aber welche beiden Fotos es sind, dazu komme ich später.

Wir können nicht davon ausgehen, dass eine Fotografie sich selbst erklären könnte. Denn das kann sie natürlich nicht. Aber sie vermag ein Dokument zu sein, das eine Nähe zu Gegenständen und Personen allein durch das Teilen von kulturellen Bedeutungen und Zeichen herstellt. Was bei der Bildbetrachtung aber geschult werden muss, ist das denkende Auge. Das „denkende Auge“ ist ein Begriff aus einem Essay „Die helle Kammer – Bemerkung zur Photographie“ des französischen Poststrukturalisten Roland Barthes. Er verweist in Bezug auf die Rezeption von Fotografien darauf, dass der Blick nur bei denen kritisch ist, die bereits zur Kritik fähig sind. Für Barthes ist es das Unaussprechliche und das Einzigartige einer einzelnen Fotografie, die es vermag, jemanden persönlich zu treffen, die den Blick fesseln kann, die – wie er das nennt – „besticht“ und die man einfach nicht erklären kann.

Ob ein Bild „gut“ ist hängt hauptsächlich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Betrachtenden ab. Experten und Laien gleichermaßen sagen, sie erkennen ein „gutes“ Bild, wenn sie es sehen. Das mag arrogant klingen, aber es handelt sich letztendlich um eine individuelle Ansicht.

 

Also: ob eine Fotografie eine spannende Bildaussage beinhaltet und interessant komponiert ist, beurteilt jeder Mensch individuell. Die Gründe dafür sind vielfältig und greifen tief in die persönliche Psyche, da sie auf der Herkunft und den subjektiven Erfahrungen beruhen. Diese individuellen Qualitätskriterien funktionieren unabhängig vom Bewusstsein ähnlich wie bei der ersten Begegnung mit einem unbekannten Menschen, und so sind die einen einander ad hoc sympathisch, die anderen sind es nicht. Ebenso verhält es sich bei einer ersten Begegnung mit dem Werk eines Fotografen. Der erste Ankerpunkt ist das Bildmotiv sowie die durch Neugierde oder Ablehnung gesteuerte spontane Reaktion. Da die Herstellung und die Rezeption von Bildern auf so unterschiedlichen Kriterien beruhen, verbieten sich Pauschalurteile.

Es gibt technisch einwandfreie Fotos, bei denen scheinbar alles stimmt. Oft sind sie ein Versuch, ein Abbild der Wirklichkeit zu schaffen. Ein "gutes" Foto vermittelt Emotionen und Stimmungen, die nicht notwendigerweise positiv oder angenehm sein müssen. Dass ein Foto jeden entzückt, ist nicht wichtig. Natürlich sollen Bilder gefallen, aber in erster Linie müssen sie dem Fotografen etwas geben.

Eine wirklich interessante Aufnahme bleibt im Gedächtnis des Betrachters, egal ob sie technische Mängel wie Unschärfe oder eine Fehlbelichtung aufweist. Für das Gelingen aussagekräftiger Fotos ist auch nicht unbedingt eine umfangreiche und teure Fotoausrüstung erforderlich. Viel wichtiger als der Einsatz teuerster Technik ist das Auge hinter der Kamera, ist die Auseinandersetzung mit dem Motiv, ist die Komposition des Bildes.

·        Hinter einer Bildkomposition versteht man die Aufteilung aller Elemente eines Bildes. ...

·        Perspektive. Ungewöhnliche Perspektiven machen Fotos zu etwas Besonderem. ...

·        Licht und Schatten. ...

·        Emotionen. ...

·        Bildaussage / Die Geschichte. ...

·        Farben und Kontrast. ...

·        Der besondere Moment.

 

Angesichts der gegenwärtigen Bilderflut im Allgemeinen sind aber weder Schockierende noch ästhetisch ansprechende visuelle Eindrücke genug, um dauerhaft im Gedächtnis des Betrachtenden zu bleiben. Als Bilder noch gemalt wurden und vor dem Zeitalter der Digitalen Fotografie, war ein Bild schon aufgrund seiner Seltenheit und der aufwändigeren Herstellung bemerkenswert.  Im Zeitalter von TikTok und Instagram scrollen wir gedankenverloren durch Bilder und bleiben selten länger als den Bruchteil einer Sekunde bei einem Motiv.

 

Ein Foto zeigt nicht nur das abgebildete Motiv, sondern verrät auch direkt oder indirekt etwas über den Fotografen. In erster Linie muss dem oder der Fotografierenden selbst das Bild gefallen und wenn er oder sie dann noch mehr Menschen findet, denen es gefällt, dann ist es ein Erfolg. Und diesen Erfolg haben alle Teilnehmenden bereits sicher erreicht.

 

Letztendlich ist jedoch die Absicht der Künstlerin für Betrachtende oft wenig relevant. Das Kunstwerk entwickelt ein „Eigenleben“ unabhängig von Person und Intention des “Schaffenden“. Das gleiche Bild kann verschiedene, manchmal sogar gegensätzliche Reaktionen in Betrachtenden auslösen.

 

Einer Fotografie kann eine fesselnde Bildkomposition zugrunde liegen, die den Rezipienten vor einem Foto länger verweilen lässt und ihn manchmal sogar berührt. In diesem Kontext gibt es eine interessante und kuriose Definition für ein gutes Bild nach Henri Cartier-Bresson: Ein gutes Bild sei ein Bild, das länger als eine Sekunde betrachtet wird.

Und da, meine Damen und Herren, bin ich sicher – Sie werden jedes Foto deutlich länger als eine Sekunde betrachten.

 

Aber genug der theoretischen Vorrede – wir sehen gleich Fotos von 11 Teilnehmern an einem Workshop, der von Josef Lamozik geleitet wurde. Er ist ein leidenschaftlicher Fotograf – ja ein Fotomaler, wie ich bewundernd in unserer Ausstellung über Thomas von Kempen im Städtischen Kramer-Museum täglich sehen kann.

Als ich Herrn Lamozik fragte, ob es Vorgaben für die Teilnehmer gab, verneinte er dies. Er erklärte, dass er die Fotografen auf bestimmte, nicht für jeden direkt sichtbare, Dinge wie Schlussstein oder Gemälde auf der Rückseite des Annenaltares aufmerksam gemacht hat.

Ansonsten standen auch die sonst nicht zugängliche Michaelskapelle, die Thomaskapelle und die Orgelempore zur Verfügung.

Ich hatte mir beim Ansehen der Bilder überlegt, wie die Hängung der Fotografien wohl sein würde. Nach Themen, also ähnliche Bilder nebeneinander, nach Einzeldarstellung oder… Als ich Herrn Lamozik und seinen Mistreitern beim Aufbau der Ausstellung zusah, war ich direkt angetan. Die Spannung entsteht nicht nur dadurch, dass es einen Wechsel zwischen vertikalen und horizontalen Bildern gibt, sondern es eine gut durchdachte Mischung der Motive gibt.

Lassen Sie uns von einem Bild zum anderen gehen:

Wir begegnen dem Engel von der Chorgestühlwange, fotografiert von Konrad Nolten-Falk. Eine ganz starke Konzentration nur auf den Engel – nur als Person ist er wichtig, nicht das Kempener Wappen, das er festhält, nicht seine Flügel, nicht der Hintergrund, wichtig ist sein freundliches Gesicht, seine fein gelegten Locken, seine langen schmalen Hände und sein in tiefe Falten gelegtes Gewand. Diese großartige Konzentration des Fotis unterstreicht auch die bildhauerische Leistung des unbekannten Schnitzers.

Das nächste Bild von Michael Schäfer zeigt uns den Altarraum. Die so starke Symmetrie des Bildes lenkt die Konzentration auf die Altäre, auf den neuen und den dahinterstehenden flämischen Schnitzaltar, den Annenaltar. Wichtig sind die Altäre, die vom Gewölbe beschützt zu sein scheinen.

Herr Caniceus hat ein zunächst irritierendes Foto geschaffen: als ich es das erste Mal sah, habe ich gedacht – wir haben doch keine lila Säulen in der Kirche. Wie ist dieses Foto entstanden, wie kann der Marienleuchter so nah an der Orgel sein? Gerade diese veränderte Perspektive macht dieses Bild so spannend.

Wiederum von Michael Schäfer ist das Foto der drei Kreuzwegstationen. Ein scheinbar „normales“ Bild, das mit dem Schattenwurf der Rahmen spielt und scheinbar vertraute Motive zeigt – aber es ist ein Foto, das nicht der Realität entspricht – können Sie erraten, weshalb?

Wieder mit verkürzter Perspektive spielt Michael Schäfer auf seinem Foto. Mir ist direkt die Pieta ins Auge gesprungen und ich habe gemerkt, dass ich dieses Foto von rechts nach links betrachte, von der leidenden Maria hin zum Marienleuchter mit der Gottesmutter, die so leicht zu schweben scheint bis hin zum Glasfenster.

Christian Uebing hat den Hochaltar, den Annenaltar als Panoramafoto aufgenommen. Eine technische Meisterleistung, bei dem gestochen scharfe Bilder jedes einzelnen Gefachs des Altares entstanden sind. So kann hier nur ein besonders schönes Detail gezeigt werden, die spielenden Kinder, so nah, wie sie selbst wenn Sie direkt vor dem Altar stehen, nicht zu sehen sind.

Helmut Jansen hat in seinem Foto die gesamte Kraft der Orgel wunderbar eingefangen – die stehenden Orgelpfeifen und die Bekrönung der Albiez-Orgel scheinen in den Schlussstein des Gewölbes zu wachsen. Die vorstehenden Pfeifen haben fast etwas Aggressives an sich, und man denkt an die Kraft der Musik.

Was für ein Kontrast ist sein Foto vom Erzengel Michael, der schwebend komplett freigestellt vor diesem schwarzen Hintergrund in seiner Farbenpracht auch so von uns nicht sichtbar ist.

Lutz Heesen hat das Glasfenster von Heinrich Dieckmann in seiner ganzen leuchtenden Kraft eingefangen. Das Karfreitagsthema wird tröstlich durch das Spiel der Sonneneinstrahlung auf der Wand.

Helmut Jansen hat den radikalsten Perspektivwechsel vorgenommen und zeigt uns aus der Bodenperspektive den Dämon, den Maria besiegt. Vom Marienleuchter sind nur die weit ausladenden Kerzenhalter zu sehen, umfangen von dem gotischen Gewölbe der Kirche.

Hubert Kranig lenkt den Blick direkt auf das so liebevoll blickende Gesicht Mariens. Hier hat er die ganze Schönheit der hochgotischen Marienfigur und des Jesuskindes auch mit der Lichtführung wunderbar eingefangen. Die spitzen Strahlen wirken dabei nicht agressiv, sondern wie ein Schutzschild um die Figuren.

Aus einer anderen Perspektive, aber nicht minder spannend, hat Konrad Nolten-Falk die Orgel fotografiert – sein Bild macht die Massivität der Orgelpfeifen auf andere Weise wie Helmut Jansen deutlich.

Haben Sie den so eindrucksvoll schlichten Altar schon einmal in diesem Licht gesehen? Dieses flirrende Rot und Weiß, das Lutz Heesen uns hier fast irreal zeigt, habe ich noch nie so gesehen. Eindrucksvoll auch, wie stark die fünf Kreuze, die an die Wundmale Christi erinnern, und an denen bei der Altarweihe Weihrauch verbrannt wurde, hier zu sehen sind.

Lutz Heesen hat dieses Foto gemacht, von dem ich nicht wusste, wo es gemacht ist. Wissen Sie es? Ich musste erst fragen. Es entspricht so gar nicht unserem Bild des Gewölbes in der Kirche. Der massive Schlussstein zieht erst einmal den Blick auf sich, bevor sich unsere Augen zu dem Magnificat-Fenster wendet. An dem Rundbogen um dieses Fenster erkennen Sie, dass sie sich im Turm der Kirche befinden.

Inhaltlich gehören die beiden Fotos zusammen, auch wenn dieses von Hubert Kranig gemacht worden ist. Ist das nicht ein großartiges Gewölbe, das an Mosaiken aus Ravenna erinnert?

Wenn ich dem Kirchbauverein etwas vorschlagen darf, dann würde ich es sehr begrüßen, wenn dieses Gewölbe und das Fenster mit Beleuchtung sichtbar gemacht wird.

Manfred Joosten, mein ehemaliger Kollege, hat das Altarkreuz in den Mittelpunkt seiner Aufnahme gestellt. Der fast mystische Hintergrund, der so verschwommen ist, macht die Schönheit dieses Altarkreuzes sichtbar.

Sein Foto von einer weiteren Orgel in der Kirche lenkt den Fokus weniger auf die Pfeifen, als vielmehr auf das kostbare Renaissance-Schnitzwerk dieser Orgel.

Auch er konnte sich der Faszination des Marienleuchters nicht entziehen und zeigt uns die Gottesmutter ganzfigurig mit dem dahinter liegenden Annenaltar, der so nah zu sein scheint.

Eine Collage zeigt uns Mechthild Kranig, viele kleine Details aus dem Chorgestühl und den übrig geblieben Teilen aus der ehemaligen Kanzel, dominiert vom Adlerkopf des Lesepultes, das hier im Chorumgang steht.

Auch die nächsten beiden Fotos sind von Mechthild Kranig, die untergehende Sonne neben der Propsteikirche vor einem weiten blauen Himmel – das erinnert an niederländische Malerei, die uns auch oft den weiten Himmel zeigt.

Schön auch ihre Collage der Figuren auf den Dächern der Kirche dominiert vom Kreuz des Dachreiters mit Hahn.

Ralf Helling hat die ganze Breite der Kirche in den Blick genommen – im ersten Augenblick scheint uns die Kirche fremd, aber die Führung des Blicks vom Mittelgang auf den Marienleuchter und dann in dieses schöne Gewölbe hat mich beeindruckt.

Ich habe mir alle Fotos zur Vorbereitung ausgedruckt und dieses Foto von Rainer Lange in Hochformat – Sie sehen es hier im Querformat. Ein ganz anderer Eindruck eines Details einer meiner Lieblingsskulpturen in dieser Kirche – der Wundmale tragende Engel unter dem Hl. Christophorus.

Das Gefallenendenkmal in der Taufkapelle gehört nicht zu meinen Favoriten unter den Ausstattungsstücken der Kirche. Aber die Konzentration auf die Hauptaussage des Kunstwerkes, die Beweinung des toten Christus, ist eindrucksvoll gelungen.

Helmut Jansen hat eine Collage aus dem rechten Seitenaltar zusammengestellt, den Dämon habe ich bisher nicht entdeckt. Es zeigt, wie viele Details in diesen so großartig geschnitzten Altären steckt.

Michael Schäfer hat sich das Chorgestühl ausgesucht. Sehen Sie sich an, wie er mit Schärfe und Unschärfe dabei spielt.

Rainer Lange hat sich das große Glasfenster in der Michaelskapelle ausgesucht. Hier sind jetzt alles Details dieses sehr eindrucksvollen Fensters zu entdecken in einer Perspektive, wie Sie sie, wenn Sie direkt vor dem Fenster stehen, nicht haben können.

Ralf Helling hat sich ins rechte Seitenschiff gestellt und zeigt uns drei Joche des Kirchenschiffs mit dem Zentrum des Marienleuchters. Die architektonische Schönheit der Kirche und die Vielfalt der hier versammelten Figuren, Altäre, Gemälde wird auf eine sehr besondere Weise sichtbar.

Dieses Foto fällt aus dem Rahmen. Lutz Heesen hat für mich das Karfreitagsbild fotografiert. In Schwarzweiß, in diesem harten Spiel von Licht und Schatten kommt die ganze Dramatik dieses Tages zum Ausdruck.

Dieses so harmonische Foto, das den Marienleuchter mit dem Altarraum zusammenbindet, hat Ralf Helling gemacht. Dieses so überaus symmetrische Bild mit dem gotischen Himmelsgewölbe macht mir wieder einmal bewusst, warum ich mich in dieser Kirche so aufgehoben fühle.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen meine Eindrücke der insgesamt 30 Fotos geschildert. Vielleicht kommen wir ins Gespräch darüber, ob Sie es anders sehen. Sprechen Sie auch mit den Fotografen und fragen Sie sie nach der Intention ihrer Fotografien.

Ich wünsche Ihnen allen viel Spaß beim eigenen Entdecken und Betrachten der Fotos – und beim aktiven Training Ihres kritisch „denkenden Auges“.

Zum Seitenanfang