Kunstwerk des Monats

Der Annenaltar - die heilige Sippe

Das Zentralbild des Annenaltars stellt die „Heilige Sippe“ dar. In der Mitte der Gruppe erkennt man Maria und Anna mit dem Jesuskind. Dahinter und daneben stehen die drei Männer Annas (zwei links einer rechts). Josef steht rechts neben Maria. Maria trägt das Kind, das sich Anna zuwendet. Anna hat ein Buch in der Hand. Es soll darauf hinweisen, dass sie Maria und ihre weiteren Töchter in die Schrift eingeführt hat.

Anna, so will es die „legenda aurea“ wissen, soll dreimal verheiratet gewesen sein. Als ihr erster Mann Joachim starb, heirate sie dessen Bruder Kleophas und als dieser starb der Bruder Salomas. Der jüdische Brauch sieht vor, dass eine Witwe nicht alleine bleiben soll, sondern mit einem der unverheirateten Brüder vermählt wird, damit sie emotional und finanziell abgesichert ist.

Links und rechts der Gruppe sitzen deshalb die weiteren Töchter aus diesen Ehen mit dem Namen Maria. Diese hatten zwei bzw. vier Kinder. Sie sind vor ihren Müttern zu sehen. Zwei davon spielen ein niederrheinisch übliches Bügelspiel, bei dem sie ein Hund beobachtet.  Es sind mit Jesus insgesamt sieben Kinder (Sieben ist eine heilige Zahl - eine Anspielung auf die sieben Tage der Schöpfung).

Das Bild der „heiligen Sippe“ soll deutlich machen, dass Jesus, der Retter und Erlöser zu einer jüdischen Familie gehört, also das Kind einer großen Familie wurde. Die Kinder sollen jeweils spätere Apostel gewesen sein. Es sind Johannes (der spätere Evangelist), Joseph genannt Justus, Jakobus der jüngere und Jakobus der ältere sowie Judas Thaddäus und Simon Kanaanäus. So werden die Apostel zu Vettern Jesu, steht doch in der Schrift, dass Jesus Brüder und Schwestern hatte (s. Mk 3, 32 ff – von den wahren Verwandten), diese folglich nicht die Söhne der jungfräulichen Gottesmutter Maria sein konnten.

Wolfgang Acht      

Der Annenaltar

 Die Annenbruderschaft  

Die Annenverehrung wurde in Kempen von der Annenbruderschaft gefördert. Zu den Pflichten der Bruderschaft gehörte die Teilnahme an der Messe an jedem Dienstag der Woche (am „Annentag“) sowie Solidarität und Hilfe in der Gemeinschaft und deren Unterstützung für die Armen.   Die Bruderschaft feierte ihre Gottesdienste in der linken Turmkapelle, die ihr zugewiesen war. Sie war einflussreich und bestand aus vielen gut situierten Bürgern. So konnte sie sich auch die Anfertigung eines kostbaren Altars leisten. Für die von ihr genutzte linken Turmkapelle wollte sie einen würdigen Altar haben.      

Der Antwerpener Künstler  

Die Annenbruderschaft wandte sich mit ihrem Anliegen an den Antwerpener Meister Adriaen van Overbeck und vereinbarte mit ihm vertraglich die entsprechenden Bedingungen und die inhaltliche Konzeption. Das Original des Vertrags vom 11. August 1513 findet sich heute noch im Kempener Stadtarchiv. Der Vertragstext ist in mittelhochdeutscher Sprache verfasst und weist einige inhaltliche Vorgaben der Auftraggeber für die Bildfolgen auf.   Ausgeliefert wurde der Altar jedoch nicht wie geplant am 26. Juli 1514, dem Namensfest der heiligen Anna, sondern erst am 15. August, dem Festtag „Mariä Himmelfahrt“. Aufgestellt war er in der für die Annenbruderschaft genutzten Turmkapelle. Er wurde aber nach der großen Kirchenrenovierung um 1860 in den Chorraum gesetzt und  wurde somit zum Hauptaltar der Kirche.      

Inhaltliche Konzeption des Altares  

Der Annenaltar in der Propsteikirche entspricht dem bekannten Konzept der Antwerpener Flügelaltäre: sie bestehen aus einem erhöhten, geschnitzten Mittelteil mit standardisierten Bildern und einem oder mehreren meist gemalten Flügelpaaren, die sich der Thematik von Heiligenviten annehmen. Im Annenaltar sind es Maria und deren Mutter Anna. Es soll gezeigt werden, dass Maria und ihr Kind Jesus Teil einer menschlichen Familie sind, einer „heiligen Sippe“.   Vor allem wollen die Schnitzbilder aufzeigen, dass Jesus Christus in eine familiäre, menschliche Umgebung, in eine „heiligen Sippe“ hineingeboren wurde. Seine „irdische Familie“ wird als der moralische und makellose Ort der Menschwerdung Gottes gedeutet. Entnommen sind die Bildthemen des Annenaltars der „legenda aurea“, eine Sammlung von ursprünglich 182 Traktaten zu Kirchenfesten und Heiligenlegenden des Dominikaners Jacobus de Voragine (um 1230 – 1298) sowie der „Geschichte der heiligen Mutter St. Anna“ von Wouter Bor (um 1500).   Diese „Legenden“ orientieren sich am Neuen Testament, besonders an den Kindheitsgeschichten, mehr aber noch an apokryphen Schriften (vor allem am „Jakobusevangelium“) sowie Apostel- und Märtyrerakten. Auf die Geschichte der Mutter Anna von Wouter Bor dürfte die seltene Darstellung auf den rechten Altarflügel vom Tod Annas beim Besuch ihres Enkels Jesus zurückzuführen sein.      

Die Altarbasis      

Die Altarplatte (Mensa) und die Basis des Altars sind erst bei der Umstellung des Annenaltars in den Chorraum erstellt worden. Sie sind aus Sandstein (98 cm x 258,5 cm x 128 cm). Am Antependium (Sichtseite der Basis) sind drei Gemälde auf Kupferplatten in die steinerne Rahmung eingesetzt (Bildgröße: 54 cm x 61 cm links, 55 cm x 59,5 cm mittig, 55 x 60 cm rechts). Es handelt sich (von links nach rechts) um das Mahl von Abraham und Melchisedek, das Paschamahl vor der Befreiung aus Ägypten und um das von Gott von Abraham geforderte Opfer seines Sohnes Isaaks.   Sie weisen inhaltlich auf das hin, was an und auf diesem Altar in der Messfeier vollzogen wird. Es geht sowohl um eine Tradition aus der Frühzeit, als auch um die Erinnerung an das Passahmahl vor der Befreiung aus Ägypten, an das Jesus beim letzten Abendmahl anknüpft. Vor allem aber um die Hingabe Jesu Christi, der sich selbst hingebend schenkte und von hier aus erneut schenken will.  

Wolfgang Acht      

Das gotische Sakramentshaus

Bei diesem Kunstwerk handelt es sich um ein Werk des Kölner Dombaumeisters Conrad von Köln und seiner Domwerkstatt. Es wurde 1461 – 1462 aus Sandstein für 300 Goldmark gefertigt. Das Werk ist 7,20 m hoch und gliedert sich in drei Ebenen, einem Fußteil, darüber die Tabernakelkammer mit Giebelkrönung und ein zweistöckiges Strebwerk an der Spitze. Die Figuren beziehen sich auf das sakramentale Brot, das hier aufbewahrt wird.

So findet sich:

  • im Rankenwerk der gegeißelte Jesus, umgeben von Engeln mit den „Leidenswerkzeugen“;
  • im darunter liegenden Ziergiebel die Figur des heiligen Paulus (Verkünder der Frohbotschaft weit über das Land Israel hinaus), des Petrus (der „Erste“ der Apostel) und Marias mit Kind (die „Gottesmutter“).

 

  • An der Tabernakelkammer sind als „Tabernakelwächter“ die so genannten „Kölner Marschälle“ angebracht: Papst Kornelius, Bischof Hubertus, Antonius der Wüstenvater und Quirinus von Neuss, die zugleich Pfarrpatrone der Nachbargemeinden sind. Die Figuren zeigen zugleich die Verbindung zur Kölner Kirchenprovinz, zu der Kempen früher gehörte.
  • Im unteren Sockelbereich stehen die Patrone der Tochterkirchen in jeweiliger Himmelsrichtung der Kirchen: St. Godehard (Patron von Vorst), St. Vitus (Patron von Oedt), St. Nikolaus (Patron der Kapelle in Schmalbroich) und St. Cyriakus (Patron von Hüls). Sie zeigen die enge Verbindung der ursprünglich vereinten Gemeinden im Umfeld von Kempen, die heute strukturell wiedergegeben ist.

Das Sakramentshaus ist also nicht nur ein künstlerisch hervorragendes Werk, sondern zugleich stellt es eine bildhafte Verkündigung dar für das, was im Tabernakel aufbewahrt wird, das „Brot des Lebens“, der hingebende Christus selbst.  

Wolfgang Acht      

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