RP: Schätze der Propsteikircher im Fokus

Auf dem Annenaltar ist die „heilige Sippe“ zu sehen. In der Mitte sitzen Maria mit dem Kind und ihre Mutter Anna, vorn spielen Kinder das Bügelspiel. Unten im Bild: der „Schneider von Kempen“.

Kostbarkeiten aus der Kempener Propsteikirche, die erst auf den zweiten Blick ins Auge fallen, hat der Kempener Fotograf Josef Lamozik für den Jahresweiser 2022 des Kirchbau-Vereins St. Mariae Geburt gestaltet.

VON HANS KAISER

KEMPEN | Hier steht die Zeit still. Im geheimnisvollen Halbdunkel der Kempener Propsteikirche fühlen wir uns um Jahrhunderte zurückversetzt. Indes: Außerhalb des Gotteshauses rast die Zeit, deshalb braucht sie Einteilung. Stillstand der Zeit und ihre Einteilung hat der Kempener Kirchbau-Verein jetzt auf einen Nenner gebracht: mit einem Kalender über Kunstschätze der Kempener Kirche. Er zeigt für das Jahr 2022 auf zwölf großformatigen Bildblättern ewig wertvolle Kostbarkeiten aus St. Marien.

Gestaltet hat ihn der Kempener Josef Lamozik, Maschinenbautechniker im Ruhestand, Hobby-Fotograf seit 1967. Seine bevorzugten Motive: Landschaften und Architektur – und hier vor allem Kirchen. „Mich reizten die Details aus Fenstern und Altären, die nicht auf den ersten Blick auffallen“, beschreibt Lamozik seine Kriterien. Ergebnis: ein Kalender, der zum Rundgang mit den Augen einlädt. Um eingehend zu betrachten, was in der Propsteikirche namhafte Meister vom Mittelalter an hinterlassen haben.

Den Auftakt macht die Hausherrin. Das Leben der Muttergottes, nach der die Kirche ihren Namen „Mariae Geburt“ trägt, und das ihrer Familie füllt im Kalender den Januar. Lamoziks Foto zeigt die Rückseite des Hochaltars, auch „Annenaltar“ genannt, weil ihn die Kempener Annen-Bruderschaft 1513 bei Adrian van Overbeck aus Antwerpen bestellte. Geweiht ist er der heiligen Anna, der legendenhaften Mutter der Maria. Bei der Darstellung ihrer Vita orientierte sich Overbeck an Druckgrafiken von Albrecht Dürer, die damals, im frühen 16. Jahrhundert, weit verbreitet waren. In Antwerpen leitete Meister Overbeck eine Werkstatt für Großaufträge, beschäftigte eine Vielzahl von Schreinern, Schnitzern und Vergoldern.

Die Bilder, die er vor mehr als 500 Jahren schuf, zählen zu den wertvollsten der Kirche. Sie zeigen die klassischen Szenen des Marienlebens: die Verkündigung von Jesu Geburt durch den Engel, die Heimsuchung beim Treffen von Maria mit ihrer Kusine Elisabeth, aus der die Grußformel „gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ hervorging, Christi Geburt, seine Beschneidung, die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland und die Darstellung des Christuskindes im Tempel. Ganz oben: die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten.

Einen Überblick über Marias Familie liefert ein anderes Kalenderblatt: das Bild zum Oktober, ebenfalls vom Annenaltar. Auf ihm hat sich die „heilige Sippe“ wie zum Gruppenfoto versammelt. In der Mitte sitzen Maria mit dem Kind sowie ihre Mutter Anna. Vorne sehen wir sechs Kinder – zwei davon beim Bügelspiel, wie man es am Niederrhein kennt.

Aber auch jüngere Kunstwerke hat die Propsteikirche zu bieten. Glasmalerei zum Beispiel. Wie die „Dornenkrönung“ auf einem Fenster in der südlichen Turmseitenkapelle, der sogenannten Kriegergedächtniskapelle. Der Kalender zeigt das Bildwerk für den Monat April. Entworfen hat es der gebürtige Kempener Heinrich Dieckmann, damals Hochschulprofessor in Trier. Ausgeführt wurde die Malerei von Wilhelm Derix aus Kevelaer. Eine in ihrer Schlichtheit eindringliche Komposition: Hinter dem dornengekrönten Jesus steht ein Soldat, über den beiden Personen zwei Engel mit einem Spruchband: „Der für uns ist mit Dornen gekrönet worden.“ Kräftige Farben – vorwiegend Rot und Blau – intensivieren die Botschaft.

Kommen wir zum September. Da hockt auf einem Mauervorsprung im Chorumgang, nahe beim Fenster von der „Schmerzhaften Mutter“ ein kleiner Mann. Es ist der „Schneider von Kempen“. In einer Tragekiepe auf dem Rücken wuchtet er, das Gesicht vor Anstrengung verzogen, eine Säule. Die angestrengte Schlepp-Gestalt steht für den Opfersinn, mit dem sich die Kempener Jahrhunderte hindurch für den Bau ihrer Pfarrkirche ins Zeug gelegt haben. Anderswo errichtete man ein stolzes Rathaus – das fromme Kempen baute ein Gotteshaus. Die Statue leitet sich ab von einer Sagenfigur: einem Schneidergesellen, über den Generationen berichtet haben. Ein armer Kerl, der wenig Geld, aber viele Münder zu stopfen hatte. So blieb ihm als sein Beitrag zum Kirchenbau nur eine tragende Rolle. Nachts, nach der Arbeit, wuchtete er Steine auf das himmelhoch ragende Gerüst und bekam dafür dieses Denkmal gesetzt.

Schließlich der Dezember, der Weihnachtsmonat. Er zeigt die Geburt Jesu. In einer Figurengruppe vom unteren Feld des Annenaltars. Wer genau hinschaut, merkt: Das Christuskind liegt nicht in einer Krippe, in einer Futterraufe. Es ist vielmehr auf einer Art Altar platziert: auf einem thronförmigen Hocker, der mit Stroh bedeckt ist. Der Engel freilich, der dahinter steht, hat nur noch den rechten Flügel: Der linke muss im Lauf der Jahrhunderte verloren gegangen sein. Und das heilige Paar? Maria hat in ehrfürchtiger Haltung die Arme verschränkt. Josef ist schon älter und stützt sich auf einen Stock. In der Hand hält er eine brennende Kerze. Ein Symbol für das Licht der Welt, das in Gestalt des Neugeborenen vor ihm liegt. Ein wenig höher im Hintergrund: Kinder. Sie tanzen vor Freude über die Geburt des Erlösers.

Erlös dient Sanierung der Kirchenfassade

Kaufen Der Kalender „Propsteikirche St. Mariae Geburt in Kempen 2022“, herausgegeben vom Kirchbau-Verein St. Mariae Geburt, ist bei Schreibwaren Beckers, Engerstraße 10, für 12,50 Euro zu haben, nach den Gottesdiensten auch in der Propsteikirche und im Pfarrbüro.

Spenden Der Erlös dient der dringend notwendigen und kostenaufwändigen Sanierung der Kirchenfassade. Darüber hinaus bittet der Kirchbau-Verein um Spenden. Mehr über den Verein unter www.gdg-kempen-toenisvorst.de.

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